Back to live. Am wichtigsten Anlass der Event-Branche in Andermatt, dem 360° Entertainment Forum, herrschte Aufbruchstimmung. Alle freuen sich nach zwei Jahren Pandemie endlich auf Normalität – auch wenn diese eine andere sein wird als noch 2019.

Nach zwei Jahren Pandemie-Zwangspause trafen sich die Vertreter:innen der Schweizer Event-Branche am 29. und 30. März in Andermatt endlich wieder «live». Das 360° Entertainment Forum in Andermatt konnte bei der sechsten Durchführung mit einer Rekordteilnehmerzahl aufwarten. Das Comeback der Branche ist gleichzeitig auch ein Aufbruch.

«Wird die neue Normalität die alte Normalität sein?», mit dieser steilen Frage starteten Co-Gastgeber Andreas Angehrn, CEO Ticketcorner, und Hans-Willy Brockes, Geschäftsführer ESB Marketing Netzwerk, den Anlass. Antworten darauf lieferten die Referent:innen unmittelbar, allen voran Samih Sawiris. Bei seinem Auftritt betonte der Tourismus-Unternehmer, wie wichtig Entertainment auch ausserhalb der gewohnten Orte werden wird. Zum Beispiel in Andermatt, wo hochstehende Konzerte einen Mehrwert ausserhalb des klassischen Winter-Tourismus schaffen sollen. Mathieu Jaton, CEO Montreux Jazz Festival, spitzte sogar zu: «Content is no more King». Die neuen Könige seien die Kunstschaffenden und ihre Fans gemeinsam – sie sollen sich in einer «Creator»-Wirtschaft zusammenfinden. Entertainment werde mehr und mehr zum 360°-System «Publikum – Marke – Inhalt».

Corona hat Trends angeschoben

Dieser Wandel hat bereits während Corona stattgefunden. So haben verschiedene Veranstalter neue Formate entwickelt, bei denen die Besucher:innen andere Rollen bekommen, zum Beispiel bei den «Migros Hiking Sounds». Hier wurden die Musikfans zu Akteur:innen, die sich ihre Konzerte erwandern mussten. Oder bei der «Art on Ice Special – Dinner Show», wo für ein kleineres Publikum gekocht wurde und die Gäste am Ende Teil des Events auf dem Eis im Hallenstadion waren. Oder das «Summer Now» Festival in Biel. «Uns waren drei Punkte wichtig: Partizipation, Regionalität und Wohlfühloasen», fasste Marcel Sallin, Geschäftsführer von Summer Now, zusammen. Ein kleines Zusammenkommen auf einer Brache, auf der eine ganze Region eingebunden wurde. Angefangen von den Musiker:innen bis hin zum Verpflegungsangebot.

Live wird deutlich mehr nachgefragt

Innovative Formate und nach zwei Jahren wieder die Aussicht auf eine gewisse Normalität. 2022 kann zu einem erfreulich denkwürdigen Jahr werden. Alle Zeichen deuten darauf hin. Julia Asseburg vom LINK Institut für Markt- und Sozialforschung sagt der Entertainment-Branche voraus: «Sie werden gewinnen». Als Ergebnis ihrer Umfrage wird das Live-Entertainment ein Wachstumspotential von 31 Prozent haben. Das in der Pandemie beliebte Streaming dürfte hingegen deutlich nachgeben, um bis zu 10 Prozent.

Dessen sind sich auch die Festivalmacher bewusst. Erste Festivals wie das Openair St. Gallen sind bereits ausverkauft. Und es wird ein Re-Start sein mit einem neuen Publikum. «2022 wird nicht wie 2019», sagt Christof Huber, Director Festivals der Gadget abc Entertainment Group. «Es werden viele Junge kommen, die ihr erstes Festival erleben, denn zwei Jahrgänge haben ihre Premiere während Corona nach hinten schieben müssen.» Und diese Jungen kommen auch mit dem Anspruch auf Nachhaltigkeit. Jacob Sylvester Bilabel, Gründer der Green Music Initiative, zeigte die Richtung: Man solle sich nicht in vielen kleinen Nachhaltigkeitsprogrammen verlieren, sondern die Dinge, die man tut, richtig tun.

André Béchir und sein Buch

Am 360° Entertainment war der Name aber auch Programm. So kam Rapper Stress zu einem sehr ungewohnten Auftritt. Wegen des Zeitpunkts – am Morgen kurz vor 10 Uhr. Und Branchen-Legende André Béchir, Senior Advisor Gadget abc Entertainment Group, liess das Publikum tief ins Innenleben der Rockmusik eintauchen. Vom Flügel, den ein Superstar im Pool des Atlantis in Zürich versenkte, über den amerikanischen Rockstar, dem es in der Seilbahn nicht geheuer war, bis hin zu menschlichen Momenten von Superstars. Gegenüber Moderator Sven Epiney deutete Béchir an, seine Geschichten eines Tages in Buchform zu veröffentlichen. Die Branche rief er am Ende auf, die Geschlossenheit aus der Pandemie mitzunehmen und die Interessen aller auch im Alltag gebündelt zu halten. Und vor allem: «Wir müssen das Vertrauen der Menschen gewinnen. Es braucht viel Herzblut und nicht den Rechenschieber.» Dieses Herzblut hat die Branche in Andermatt eindrücklich bewiesen. Sie freut sich darauf endlich wieder «back to live» zu sein.