AnnenMayKantereit galten eine Weile als Geheimtipp unter Deutschpop-Kennern. Inzwischen gehen ihre Konzerttickets weg wie warme Weggli. event. traf die Band am Zürcher HB und weiss, warum Sänger Henning May  (28) die Schweizer knuffig findet.

Karrieretechnisch ging es bei den Kölner Jungs ab wie bei einer Weltall-Rakete: Kometenhaft. Und dies, ohne jemals die grossen Konzerthallen und Plattenverkäufe angepeilt zu haben. Schon zu Gymizeiten interessieren sie sich mehr für Musik als für Algebra und Chemieformeln oder Grammatik. Die Strassen sind zu jener Zeit ihre Konzerthallen, jede Universitätswiese in der Umgebung wird 2011 bespielt. Ihre Gigs kommen gut an, ihr Markenzeichen: eingängige, poetische Songtexte jenseits des Deutschpop-Radio-Einheitsbreis und vor allem auch Henning Mays Reibeisen-Stimme.

«Seine Themen in einen Song verpacken zu können, das fehlt in den meisten Castingshows komplett. Da geht es um die grosse Show, um Einzelpersonen, da herrscht Konkurrenzdenken, und die Leute werden niedergemäht.»

2013 wird das erste Album aufgenommen, ohne fremde Hilfe, als Selfmade-Firma quasi. «Wohin Du Gehst» veröffentlichen AnnenMayKantereit auf ihrem Youtube-Kanal und treffen damit den Nerv der Zeit. AMK werden auf einen Schlag bekannt und für Festivalauftritte gebucht. Eine Clubtournee folgt. Noch bis heute ist ihnen wichtig, ihren eigenen Stil zu haben und zu pflegen. Sie wollen keine Castingshow-Retortenband sein. «Das ist auch kein guter Weg, um bekannt zu werden», sagt Henning May und doppelt nach: «Seine Themen in einen Song verpacken zu können, das fehlt in den meisten Castingshows komplett. Da geht es um die grosse Show, um Einzelpersonen, da herrscht Konkurrenzdenken, und die Leute werden niedergemäht.» Das möchten sie nicht unterstützen, denn: «Bei uns geht es ums Musikmachen, um die Freundschaft», sagt May.

Freundschaftsformel als Band-Grundlage

Diese Formel funktioniert gut. Ihr aktuelles Album «Schlagschatten» ist inzwischen ihr drittes. Für 2019 haben sie einen neuen Vertrag mit einer Plattenfirma. Die Vorab-Single «Marie» ist als Appetizer gedacht, eckt wegen den ersten Zeilen («Die Vögel scheissen vom Himmel, und ich schaue dabei zu») bei einigen Radiostationen an – Boykott. Keine gewollte Provokation: «Wir hatten damit nicht vor, zu provozieren. Wir fanden die Vorstellung schön, dass der erste Satz ein kleines Stück Überraschung bietet», erzählt Gitarrist Christopher Annen.

AnnenMayKantereits Texte sind verspielt, poetisch, witzig, sinnlich bis Sinn suchend. Aber eines nicht: banal und austauschbar. Wobei sie diese nicht als das Herzstück ihres Sounds bezeichnen, sagt Henning: «Das Wesentliche an unserer Musik ist, dass wir sie in erster Linie für uns selbst machen. Wir schreiben die Lieder nicht, um erfolgreich zu sein oder damit möglichst viel Geld zu verdienen. Für uns ist sie ein Grundbedürfnis. Dass sie sich an uns selbst richtet, ist aus meiner Sicht das Wichtigste. Ich glaube, dass meine Texte uns von anderen deutschen Popbands stark abgrenzen, weil sie mehr Gehalt haben.»

«Ich mag die
älteren Leute hier. Wenn ich beim Zugfahren in Deutschland
mit älteren Menschen rede, vertreten sie oft ein Weltbild, das
nicht meinem entspricht. Ihr Schweizer seid so knuffig.»

Inspiration finden sie überall, auch unterwegs. Für ihre Promotour sind sie am liebsten mit dem Zug unterwegs, fliegen ist nicht so ihr Ding. Die Umwelt liegt ihnen zwar am Herzen – aber ohne militant zu sein. Und das Zugfahren bietet zudem Raum für Beobachtungen und Gespräche. Besonders in der Schweiz, wo die vier Kölner noch eher unbekannt reisen können. Das Land mögen sie besonders gerne. Henning findet: «Ich mag die älteren Leute hier. Wenn ich beim Zugfahren in Deutschland mit älteren Menschen rede, vertreten sie oft ein Weltbild, das nicht meinem entspricht. Ihr Schweizer seid so knuffig.» Wer AnnenMayKantereit zum Gespräch trifft, landet mitten in ihrem Freundeskreis. Apropos Freunde: Ist einer denn der Chef ? Eine Frage, die für viel Gelächter sorgt. «Nö, ich bin eher der Typ verstrahlter, netter Onkel», sagt Henning – und wieder wird gelacht.

Annenmaykantereit
28.02.2020, Hallenstadion Zürich
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