Die Bergbahnen Destination Gstaad setzen ab dem kommenden Winter auf Dynamic Pricing von Ticketcorner. Im Interview verrät Geschäftsführer Matthias In-Albon, wieso man sich für dynamische Preise entschieden hat und welche Rolle dabei der «homo psychologicus» gespielt hat.

Matthias In-Albon, was gab für die Bergbahnen Destination Gstaad den Ausschlag auf Dynamic Pricing zu wechseln?

Der Wechsel zu Dynamic Pricing steht im Kontext unserer Vorwärtsstrategie, die einerseits aus umfangreichen Investitionen in die Infrastruktur besteht, andererseits aus der Digitalisierung und damit einhergehend einer Optimierung des Geschäftsmodells. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Tourismusbranche der Schweiz sind nach wie vor schwierig, aufgrund des ungünstigen Wechselkurses, nicht gelösten Problemen in der EU und der stagnierenden Anzahl Skifahrender. Zugleich tragen die Bergbahnen als Schlüsselbranche in den Bergtälern eine Verantwortung für ihre Region und die Bevölkerung. Wir müssen die bestehenden Geschäftsmodelle hinterfragen und mit neuen Ansätzen experimentieren, um eine Trendwende herbeizuführen. Der Erfolg von Unternehmen hängt immer mehr davon ab, sich mit einem innovativen Geschäftsmodell zu differenzieren.

Dann ist Dynamic Pricing als neues Geschäftsmodell zu verstehen?

Nein, die digitale Transformation verändert unser Geschäftsmodell. Die Jungfrau-Zeitung sprach in einem Artikel über die Gstaader Bergbahnen von der ‘Digitalen Revolution am Berg’. Satellitengesteuerte Schneehöhenmessung und automatisierte Pistenbeschneiung sind inzwischen ein Standard, in den USA gibt es ein selbstfahrendes Pistenfahrzeug und in Frankreich eine vollautomatisierte Seilbahn. Diese Entwicklung wird sich in rasantem Tempo fortsetzen. Die Digitalisierung betrifft dabei auch den Verkauf von Skitickets. Immer weniger Gäste sind bereit an der Kasse für ein Ticket anzustehen, das sie mit wenigen Klicks im Internet bestellen könnten. Zugleich ermöglicht der technologische Fortschritt neue Preisstrategien. In diesem Sinn erachte ich dynamische Preise als Bestandteil und als Auswirkung der Digitalisierung.

Welchen Nutzen versprechen Sie sich von dynamischen Preisen?

Eine durch PWC in Deutschland durchgeführte Studie zeigte, dass bei 330 Unternehmen, die ihre Preise dynamisch setzen, durchschnittlich ein Umsatzwachstum von 5% sowie eine Profiterhöhung um 2% resultierte im Vergleich zu starren Modellen. Die Gründe dafür liegen in der Preispsychologie, in der Literatur meistens als ‘Behavioral Pricing’ beschrieben. Dabei wird nicht mehr von einem ‘homo oeconomicus’ ausgegangen, der seine Konsumentscheide rein rational trifft, sondern vom ‘homo psychologicus’. Dieser übersetzt die Preisinformationen zu einem Produkt oder einer Dienstleistung in einen subjektiven Preiseindruck, der sich zwischen ‘sehr billig’ bis ‘sehr teuer’ bewegt. Für ein Skiticket gibt es demnach einen Referenzpreis, der vom Gast als akzeptabel empfunden wird, und eine Obergrenze als maximale Zahlungsbereitschaft. Ein starrer Preis kann solche Preisstufen nicht abbilden und nützen. Dynamische Preise hingegen schon. Dynamic Pricing setzt auf diese Preispsychologie respektive ‘Behavioral Pricing’. Als weiteren Nutzen von dynamischen Preisen sehen wir auch die Glättung der Auslastungskurven. Zugleich versprechen wir uns auch eine Optimierung der Gäste-Convenience in Bezug auf die Einfachheit beim Buchungsprozess. Und schliesslich scheint es uns wichtig gewonnene Kundenkontakte im CRM-System zu sammeln und die Kunden mit einem Loyality-Programm ans Skigebiet zu binden.

Somit dienen dynamische Preise in erster Linie dazu, mit Preispsychologie den Umsatz und den Gewinn zu erhöhen?

Nein, ich glaube, dass Dynamic Pricing auch ein gutes Instrument ist, um mehr Skifahrende an den Berg zu bringen. Bislang versuchte man dies über das klassische Marketing mit Discountstrategien zu bewerkstelligen, jedoch ohne das Preismodell als Ganzes darauf auszurichten. Mit den dynamischen Preisen können wir preissensiblen Gästen das Skifahren wieder ermöglichen – zu einem Preis, den sie als fair oder akzeptabel bewerten, während ein starrer Preis oberhalb ihrer maximalen Zahlungsbereitschaft liegen könnte.

Bestimmt gab es bei Ihnen intern auch kritische Stimmen zum Wechsel zu Dynamic Pricing. Was waren die Vorbehalte?

In Frage gestellt wurde, ob wir durch eine Preisdiskriminierung eine wahrgenommene Preisunfairness aufbauen, ob die Gäste das neue System aufgrund lediglich fiktiven Kapazitätsbeschränkungen im Skigebiet akzeptieren und inwiefern es ein Verlustrisiko gibt, wenn die Preisparameter nicht richtig eingestellt werden.

Wie konnten diese Bedenken entkräftet werden?

Indem wir uns sehr intensiv mit der Materie, vor allem dem ‘Behavioral Pricing’, auseinandergesetzt haben. Daraus zogen wir zwei Schlüsse: Erstens begrenzen wir als erstes Skigebiet die dynamischen Rabattstufen mit einer Kontingentierung, um die Risiken eines Verlusts sowie einer Kannibalisierung abzufedern. Diese Methode ist in der Airline-Industrie bewährt. Zweitens haben wir einen Maximalpreis von 74 Franken definiert, der nie überschritten wird. Diesen erachten wir im Sinne des «homo psychologicus» als Obergrenze des akzeptierten Preises.

Dynamic Pricing beruht auf verschiedenen preisbestimmenden Parametern. Wie wurden diese im Fall der Bergbahnen Destination Gstaad definiert respektive welche Philosophie verfolgt man dabei?

Wir setzen auf ein moderates Preismodell, dessen Preise sich zwischen 49 und 74 Franken bewegen. Das sind bis zu 25% weniger und maximal 14% mehr als der frühere Fixpreis. Dahinter verbirgt sich die Annahme, dass der akzeptable Preis einer Tageskarte zwischen 55 und 75 Franken liegt. Derzeit sind wir daran die Parameter mittels einer Sensibilitätsanalyse zu ermitteln, mit der wir verschiedene Szenarien aus Kundensicht durchspielen und durchrechnen. Wir haben den Weg als Lernprozess definiert. Uns allen ist bewusst, dass wir die Parameter in den Folgejahren aufgrund der Erfahrungen wieder anpassen werden und weiter optimieren. Wichtig erscheint mir auch zu definieren, wen man mit den dynamischen Preisen ansprechen will. Die Einheimischen haben in der Regel ein Saisonabonnement und für die Übernachtungsgäste macht der Preis des Skitickets prozentual einen kleinen Teil der Gesamtkosten aus. Deshalb richten wir unser Dynamic Pricing primär auf preissensible Tagesgäste sowie auf preissensible Familien aus, die ihre Ferien bereits lang im Voraus planen.

Aus welchen Gründen entschied man sich für die Dynamic-Pricing-Lösung von Ticketcorner?

Uns war wichtig, dass wir nicht nur eine Preissoftware, sondern im Zuge der Digitalisierung auch ein CRM- sowie ein Loyality-System einsetzen können. Die Lösung von Ticketcorner umfasst alle diese Module, so dass wir teure und fehleranfällige Schnittstellen vermeiden können, wie sie bei der Zusammenarbeit mit mehreren Anbietern anfallen würden. Zudem wollten wir mit einem Partner arbeiten, der bei all diesen Funktionalitäten über Erfahrung verfügt. Ein weiterer Vorteil von Ticketcorner liegt in der guten Zugänglichkeit der Skicards, die zum Beispiel an den Valora-Verkaufsstellen abgeholt werden können.

Ein wichtiger Aspekt bei der Einführung von Dynamic Pricing ist die proaktive und transparente Kundenkommunikation. Wie haben die Kunden auf die Ankündigung der dynamischen Preise im April reagiert?

Der Vorteil ist, dass wir nicht die erste Bergbahn sind, die zu Dynamic Pricing wechselt. Es existieren Erfahrungswerte. Die Einheimischen lobten uns dafür, dass wir einen innovativen Weg gehen. Auch die Hotels begrüssen die Einführung dynamischer Preise. Im Vorfeld haben wir alle Leistungsträger einbezogen und stiessen auf grosse Zustimmung. Aber die Kommunikation ist wie bei jeder Veränderung eine Herausforderung. Vor vier Jahren führten wir eine Parkplatzbewirtschaftung ein. Im ersten Jahr gab es viele kritische Rückmeldungen, im zweiten Jahr massiv weniger und im dritten Jahr war es bereits eine Selbstverständlichkeit.

Welche Entwicklung erwarten Sie innerhalb der Branche hinsichtlich dynamischer Preise? Wird Dynamic Pricing in einigen Jahren der Standard sein?

Dynamic Pricing ist zukunftsweisend. Ich gehe davon aus, dass eine Bergbahn nach der anderen wechseln wird, nachdem nun auch grosse Skigebiete diesen Weg gehen. Jedoch müssen wir achtsam sein, dass Skifahren nicht zum Commodity-Geschäft wird, so wie es in der Flugindustrie geschah, wo durch die tiefen Preise ausschliesslich Überkapazitäten abgebaut wurden. Das Geschäftsmodell ist ausschlaggebend, aber die Qualität muss weiterhin stimmen. Zudem wird der Aspekt Künstlicher Intelligenz, wie wir es in der Industrie 4.0 beobachten, auch im Pricing an Bedeutung gewinnen. Bisherige Preissysteme arbeiteten ausschliesslich mit Vergangenheitsdaten. Künstliche Intelligenz bezieht Echtzeitdaten mit ein und ermittelt daraus den Preis, welcher der Kunde in diesem Moment bereit ist für das Produkt zu zahlen.