Herbert Grönemeyer wird mit seinen Auftritten am Summerdays in Arbon und am Seaside in Spiez für zwei Höhepunkte des Schweizer Festivalsommers sorgen. Wir trafen ihn zum Gespräch über aktuelle Politik, Zukunftsträume und «Sekundenglück».
event.: Dein im November erschienenes Album ist überaus erfolgreich. Offensichtlich triffst du damit den Zeitgeist. Es heisst «Tumult» – ist der Titel eigentlich auch politisch gemeint?
Herbert Grönemeyer: Ja, das ist sicher politisch – im Sinne von: Wie fühlt man sich selber? Wie steht man auf, wie liest man Zeitung, was geht einem durch den Kopf, wie sortiert man die Welt, wie kommt man damit klar? In Deutschland haben wir keinen Rechtsruck – aber eine klare rechte Seite. Jetzt ist die Frage, wie reagiert man darauf? Kann man ruhig bleiben und sich dagegen stellen, ohne hysterisch zu werden? Ich glaube, die Chancen stehen gut, dass es hoffentlich gelingt, dass sich das rechte Gedankengut nicht fest in die Gesellschaft frisst. Aufgrund unserer Geschichte sind wir natürlich dazu prädestiniert. Jetzt stellt sich die Frage, ob man das mit einer gewissen Lässigkeit schafft.
Du gehst ja auch an Demos und äusserst dich. Sind die Zeiten härter geworden mit Social Media? Halten sich die Leute weniger stark zurück?
Social Media sind ein Spucknapf für die Meinungen oder auch für Bösartigkeit.
Das ist schon anders als früher. Ich habe auch in den Achtzigerjahren viele
Anfeindungen erlebt, weil ich schon immer als jemand galt, der nicht rechts
war. Damals aber musste man einen Brief schreiben, das Büro anrufen oder auf einen Anrufbeantworter sprechen. Heute geht das in Sekunden. Wir haben neulich in einem Dorf gespielt, das als Nazihochburg bekannt ist – da stand ein Grill mit der Aufschrift «Happy Holocaust».
Echt?
Ja, das Festival heisst «Jamel rockt den Förster» – es ist eine Veranstaltung gegen Rechtsextremismus und für Toleranz. Die Zuschauer wissen nicht, wer kommt. Es kommen rund 1’500 Leute – und dann spielt man auf dem Grundstück der Familie, die das Festival organisiert, welches mitten in dem Dorf liegt. Man unterschätzt, wie wichtig Widerstand ist.
Ist es dir wichtig, dich politisch zu engagieren?
Klar, das gehört für mich zum Rock ’n’ Roll. Damit bin ich gross geworden, ich bin ein Kind der Siebziger- und Achtzigerjahre – damals ging es um Vietnam, Woodstock. Rockmusik hatte immer auch schon eine gesellschaftliche Haltung. Insofern ist das für mich genau so, wie wenn man ein Liebeslied schreibt. Man schreibt darüber, wie man über die Welt denkt und wie man selber denkt. Gleichzeitig Stellung zu beziehen, das gehört für mich dazu. Das war immer die Würze des Rock ’n’ Roll – so bin ich gross geworden. Ich wollte deutlich machen, dass Menschen, die schon ewig bei uns leben, Deutsche sind. Das gilt sowohl für die türkische Gemeinschaft hier als auch die griechische, die spanische oder die italienische. Ich stell mir halt vor in der heutigen Zeit mit der ganzen Geflüchtetenthematik und dem Terrorismus: Wie ist das, wenn du jahrzehntelang im Land lebst, und es war alles in Ordnung – und plötzlich wirst du komisch angeguckt?
Deshalb singst du auf dem «Tumult»- Album auch auf Türkisch. Wie kam das bei Türken an?
Ich habe darauf sehr viele positive Reaktionen erhalten. Viele haben das sehr gemocht und als Signal empfunden. Es gab natürlich auch einige, die sagten: «O Gott. Warum singt der jetzt auf Türkisch?»

Der Song «Sekundenglück» wurde mit einem sehr schönen Video illustriert – hast du das Sekundenglück heute auch schon erlebt?
Heute Morgen, hier im Restaurant des Hotels. Als ich im Restaurant mein Ei bekam. Dann haben wir über die Jalousien gealbert, die runterfuhren obwohl keine Sonne da war. Über den imaginären Sonnenstrahl. Das war sehr nett!
Alle drei, vier Jahre gibt es von dir ein neues Album. Was tust du eigentlich in der Zeit dazwischen?
Neben der Musik für das Theaterstück von Faust I und II habe ich die Filmmusik für «A Most Wanted Man» von Anton Corbijn geschrieben: Ich lebe schon lange wieder in Berlin. Treffe Freunde und überlege Dinge. Ich arbeite an einem Musicalprojekt. Wo mir aber der Stoff fehlt. Ich würde gerne ein Musical schreiben.
So ein Bio-Musical über dein Leben – wie jenes über Tina Turner?
Nein, ich würde gerne was ganz Neues schreiben. Da ich keine Geschichte schreiben kann, muss ich eine suchen. Wir haben jetzt einen Schreiber – der, der den «Lazarus» geschrieben hat von David Bowie. Das sind so Dinge, die ich mir vornehme, und hoffentlich funktioniert das dann auch.
Andere Menschen werden mit dem Alter etwas verbittert – bei dir hat man den Eindruck, du wirst offener und lockerer.
Schön, wenn man das hört – selber sieht man das ja so nicht.
«Ich habe immer sehr stark im Moment gelebt. Vorausplanen ist nicht so mein Ding.»
Lebst du heute mehr im Moment als früher?
Ich habe immer sehr stark im Moment gelebt. Was meine Eltern natürlich in den Wahnsinn getrieben hat – die dachten: «Aus dem wird nichts!» Ich denke, dass ich nicht perspektivisch untersuche, was ich aus dem Tag herausholen kann. Mein Leben hat mir gezeigt, dass es eben auch andersrum gehen kann. Vorausplanen ist nicht so mein Ding.
Und in drei Jahren machst du dich dann wieder an ein neues Album? Oder denkst du schon an den Ruhestand?
Nee, ich mach mir jetzt schon Gedanken, wie die nächste Platte aussehen soll. Dafür mach ich schon zu lange Musik. Ich will das so lange machen, wie es geht! Die Herausforderung bleibt immer. Die bleibt bestehen. Das werde ich nicht aufgeben, denn das macht zu viel Spass.
Herbert Grönemeyer
23.-24.08.2019, Seaside Festival Spiez und Summerdays Arbon
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