Innovatives trifft auf Legendäres: Festival-Direktor Mathieu Jaton (41) über die 50. Ausgabe des Montreux Jazz Festivals, das Erbe von Claude Nobs und die neue Smartphone-App.
Seit 1999 arbeitet Mathieu Jaton für das Montreux Jazz Festival; zum vierten Mal leitet er es dieses Jahr als Direktor. Die fünfzigste Ausgabe sieht er nicht nur als Rückblick, sondern gibt auch Innovativem Platz: Alte Bekannte treffen junge Talente. So will Jaton das Erbe des 2013 verstorbenen Festival-Gründers «Funky» Claude Nobs bewahren sowie den Geist von Montreux am Leben erhalten.
Herr Jaton, das Festival startet in wenigen Tagen. Nervös?
Mathieu Jaton: Es ist nicht Nervosität oder Stress, sondern mehr Begeisterung und Freude.
Seit 17 Jahren arbeiten Sie für das Montreux Jazz Festival, zum vierten Mal sind Sie dieses Jahr Direktor. Ist das Leiten schon zur Routine geworden?
Routine kenne ich nicht. Wir müssen uns jedes Mal neu erfinden. Speziell die fünfzigste Ausgabe kann keine Routine sein, da haben wir allerhand vor.
Das macht neugierig. Auf welche drei Events freuen Sie sich am meisten?
Erstens ist es da ein Projekt mit Quincy Jones, einem grossen Freund von Montreux. Er bringt etwas Neues, bei dem er junge Talente und arrivierte Stars zusammenbringt. Auch Pepe Lienhard wird dabei sein.
Zweitens?
Die Brazilian Night am 10. Juli –ein Anlass, der mit der Latino-Musik in Montreux verbunden ist. Claude Nobs hat das in den frühen 1970er-Jahren gestartet. Deshalb war es wichtig, im Jubiläumsjahr auch eine brasilianische Nacht zu haben.
Und drittens?
Worauf ich mich sogar noch mehr freue, ist das Projekt von Woodkid am 15. Juli. Der französische Produzent, Artist und Designer gestaltete schon 2014 unser Plakat, 2012 hatte er Lana Del Rey ans Festival gebracht – wir sind schon lange Freunde. Ich habe ihn eigentlich dieses Jahr nur als Gast eingeladen, aber auch geschrieben: «Wenn du was tun willst, tu es!» Spontan bot er uns eine ganze Produktion an mit rund fünfzig Musikern, mit dem Sinfonietta-Orchester aus Lausanne. Dazu kommen raffinierte Projektionen, ohne Grossleinwand oder LED-Bildschirm. Mehr verraten wir noch nicht.
Klingt innovativ und futuristisch. Wollen Sie als Direktor vor allem Neues bringen oder mehr das Vermächtnis von Claude Nobs erhalten?
Beides. Nach fünfzig Jahren können wir auch auf ein grosses Erbe zurückgreifen. So werden dieses Jahr am letzten Konzerttag Deep Purple und Frank Zappas Sohn Dweezil auftreten. Da geht es um die Geschichte des Casinobrandes von 1971 während des Konzerts von Frank Zappa.
Davon erzählt bekanntlich der Deep-Purple-Song «Smoke on the Water».
Genau. Das ist Teil der Montreux-Geschichte, und wir wollen Altes und Neues zusammenbringen. Wie auch beim Abend mit Patti Smith und PJ Harvey – Musikstars aus zwei Generationen. Zwei Künstlerinnen, die sich respektieren.
Treten die Altbekannten gerne mit Jüngeren auf?
Darum geht es beim Jazz! Jazz ist grosszügig und kein Egotrip. Das wird auch im Buch deutlich, das zu unserem 50. Jubiläum erscheint: 60 Künstler und bekannte Persönlichkeiten erzählen ihre Montreux-Geschichte. Alle Musiker sagen, ihre Musik sei von jemandem beeinflusst worden. Auf der Spitze ihres Könnens stehend sind sie bereit, das weiterzugeben. Was wir mit unserem Programm machen, ist aus diesem Geist entstanden.
Sprechen Sie manchmal mit dem Geist von Claude Nobs?
Ich denke oft an Claude. Jedoch denke ich nie: «Was würde Claude jetzt tun?» Ich weiss auch, dass er manchmal anders entscheiden würde – dann weiss ich aber auch, warum.
Ist es schwierig, Claude Nobs’ Erbe zu erhalten?
Das Musikbusiness hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Es gibt neue Festivals, die viel Geld haben und sich so die grossen Acts sichern können, die buchen, was gerade top ist. Claude nannte das die «Shoppingliste». Die interessiert uns nicht. Die Stars spielen dann ihren Slot und müssen wieder gehen, um dem nächsten Platz zu machen.
Was ist für Montreux von Interesse?
Wir in Montreux wollen eine Plattform sein, auf der die Magie zu jeder Zeit spielen kann. Wir geben den Künstlern Freiheiten, kümmern uns mehr um sie. John McLaughlin zum Beispiel sagt im Buch, dass Montreux sein Zuhause ist. Er komme jedes Jahr hierher, auch wenn er nicht spiele. Denn es sei der einzige Ort, wo er seine Freunde sehen könne. Es tut gut, so etwas zu hören. Wenn man es schafft, Stars ans Festival zu holen, die hier ihre Ferien verbringen! Es gibt mehrere, die das tun.
«Manche Stars verbringen bei uns ihre Ferien»
Sie kümmern sich also mehr um die Künstler als andere Veranstalter?
Ja, das ist so. Wir reisen um die Welt und treffen die Künstler backstage. Das ist heute gar nicht mehr üblich. Viele sprechen nur noch mit den Agenten. Wir aber kennen und treffen jeden persönlich, wissen, was er mag – und was nicht. Und wir bieten neben einer Plattform Freiheiten und Begegnungen.
Wie wird das Montreux Jazz Festival in fünf Jahren aussehen?
Es wird auf dem Seitenweg bleiben und nie den Mittelweg beschreiten. Wir werden vielmehr weiter und weiter zur eigenen DNA vorstossen und nicht irgendwelchen grossen Shows und Acts hinterherrennen. Wir bleiben bei Nähe und Intimität. Montreux ist das Vinyl der Festivals – wie eine Schallplatte: Man möchte sie berühren und erleben.
Digitaltechnik ist dennoch ein Thema – Sie lancieren eine App.
Sie heisst «Cuts». Ich bin überzeugt, sie wird die Musikbranche revolutionieren. Wir schaffen eine Alternative zu den verwackelten Handy-Filmen. Wer die App auf seinem Smartphone hat, wird im Konzertlokal elektronisch erkannt und kann auf Ausschnitte unserer professionellen Live-Aufnahmen in bester Qualität zugreifen und diese mit Freunden per E-Mail und Social Media teilen.
Wie lange bleiben Sie noch Direktor?
Solange ich die Passion in mir trage. Würde ich meine Leidenschaft eines Tages verlieren und trotzdem weitermachen, wäre das gegenüber dem Festival nicht fair.
Montreux zum 50.: 16 Tage Vollprogramm
Zur 50. Ausgabe des Montreux Jazz Festivals sind neben Legenden wie Quincy Jones, Deep Purple, Al Jarreau, Van Morrison, Herbie Hancock, Santana, ZZ Top, Neil Young und Patti Smith auch viele neue Talente dabei: Lana Del Rey, Grimes, Daughter, Woodkid, Gramatik, Ry X, Moderat, Jamie Cullum und viele mehr. Dazu kommen die Brazilian Night am 10. 7. und grosse Acts wie Muse oder Simply Red sowie ein umfangreiches Gratisprogramm mit Partys am Pool und im Park.
Das Buch zum Jubiläum: «50 Summers of Music», Editions Textuel, 400 Seiten, 69 Fr.