Nick Kyrgios - Swiss Indoors Basel 2016
Mit Emotionen hält sich Nick Kyrgios auf dem Platz nicht zurück - und eckt damit auch schon mal an.

Gesegnet mit Spielwitz und Kreativität, verwandelt Nick Kyrgios Tennisplätze in Bühnen. Seine Inszenierungen verzücken, erstaunen und verärgern. Nur eines sind sie nie: langweilig. Bald ist er bei den Swiss Indoors Basel zu erleben.

Sein Körper ist braun gebrannt, seine Schläfen sind mit kunstvoll geschorenen Tribals verziert. Sonnenstrahlen spiegeln sich im Steinchen am linken Ohrläppchen. Auf dem linken Unterarm hat er sich den Spruch «Time is Running Out» («Die Zeit läuft ab») tätowieren lassen. Wenn Nick Kyrgios auf den Platz läuft, dröhnt Musik über pinke Kopfhörer auf seinen Ohren. Dieser junge Australier, im April erst 21 geworden, ist eine Erscheinung, wie man sie im Tennis-Zirkus lange nicht gesehen hat. Geht er, auf der Suche nach seinem Platz in diesem von Tradition und Hierarchie dominierten Sport, seinen eigenen Weg?

Nick Kyrgios - Swiss Indoors Basel 2016
Kreativität, Klasse und Spielwitz hat er: Schafft es der 21-jährige Nick Kyrgios nach ganz oben?

Kyrgios ist einer der Hoffnungsträger für eine Zukunft ohne Federer, Nadal und Djokovic. Die Gemüter spaltet er schon heute. Für die einen ist er Aphrodisiakum in einer Welt, in der die Besten sich gegenseitig Honig ums Maul streichen und zu Fragen, die über den Sport hinausgehen, selten Stellung beziehen. Für andere, die Traditionalisten, ist er ein Ärgernis, das die Werte des Tennis verrät. Nur kalt lässt er niemanden. Der Rebell lebt in seiner eigenen Welt und gefällt sich in seiner Rolle.

Nick Kyrgios stammt aus einfachen Verhältnissen. Vater George hat griechische Wurzeln und verdient sein Geld als Maler, Mutter Norlaila ist Halb-Malaysierin. Begleitet wird das jüngste von drei Kindern meist vom ältesten Bruder Christos, einem Mann mit markanter Glatze. Auf dem Platz ist Kyrgios eine Naturgewalt, die in einem ständigen Monolog steht. Er teilt Unzufriedenheit ebenso wie Entzücken mit dem Publikum. Das ist erfrischend in einer Welt, in der es sonst so normiert und gesittet zu und her geht. Auch wenn Kyrgios dafür dann und wann mit einer Busse belegt wird.

Gerne kokettiert Kyrgios damit, Tennis nicht zu lieben

Bis 14 spielt Kyrgios Tennis und Basketball. Mit 17 gewinnt er die Australian Open der Junioren, zwei Jahre später, 2014, besiegt er als Nummer 144 der Welt in Wimbledon die damalige Nummer 1, Rafael Nadal. Unvergessen, wie er von der Grundlinie einen Ball zwischen den Beinen hindurch zu einem Gewinnschlag gegen den Lauf des Spaniers ins Feld spielt. Beim bedeutendsten Tennis-Turnier der Welt scheitert er erst in den Viertelfinals. Beobachter sind sich seither einig, dass der 21-Jährige genügend Kreativität, Spielwitz und Klasse besitzt, um bei den ganz grossen Turnieren um den Sieg zu spielen.

Wie er sein unbestrittenes Talent zur Entfaltung bringen kann, hat Kyrgios indes noch nicht herausgefunden. Gerne kokettiert er damit, das Tennis nicht zu lieben. «Ich mag das Spiel, es ist ein grosser Teil meines Lebens.» Die Frage, ob er mit ganzem Herzen versuche, sein Potenzial auszuschöpfen, beantwortet er dennoch mit einem deutlichen Nein. Manchmal trainiere er eine Woche nicht. «Aber ich weiss auch nicht, was ich ohne Tennis machen würde.» Kyrgios führt ein Leben zwischen Genie und Wahnsinn.

Vor einem Jahr fangen Mikrofone ein, wie er sich in der Wortwahl vergreift und eine abschätzige Bemerkung über Gegner Stan Wawrinkas Privatleben macht. Die Tennis-Oberen um Roger Federer, Andy Murray oder Novak Djokovic rufen ihn sofort zur Räson. Weil sie einst selber ihren Platz finden mussten, gestehen sie Kyrgios Fehler zu und begegnen ihm wohlwollend. Vor zwei Jahren lädt Federer ihn gar für Trainings nach Zürich ein. Murray fordert in Wimbledon ein Ende der medialen Hetzjagd.

Kyrgios erstmals bei den Swiss Indoors Basel dabei

Ausserhalb des Schwenkbereichs von Kameras und Mikrofonen arbeitet Kyrgios weit härter, als er das selber zugibt. Seine Fortschritte sind unverkennbar, auf und neben dem Platz. Er zeigt die Fähigkeit zur Reflexion und Selbstkritik. Elementare Bausteine auf dem Weg an die Weltspitze. Helfen könnte auch ein Trainer, aber Kyrgios, der von sich selber sagt, «ich kann eine Pest sein», gefällt es, tun und lassen zu können, was er will. In Landsmann Lleyton Hewitt (35), dem heutigen Davis-Cup-Captain Australiens, hat er immerhin eine Art Mentor gefunden, von dem er Rat annimmt. Hewitt hatte deutlich weniger Talent, war aber während 80 Wochen die Nummer 1 der Welt.

Dass Kyrgios dereinst in seine Fussstapfen tritt, ist nicht ausgeschlossen. Auf dem Weg nach ganz oben macht der Modell­athlet nun erstmals bei den Swiss Indoors Basel und in der St. Jakobshalle halt. Er betritt dort eine Bühne, die mit John Newcombe nur eine einzige Nummer 1 der Welt nie für ihre Inszenierungen genutzt hat. Löst Kyrgios sein Versprechen ein, das er einst abgeben hatte, gehört er schon bald selbst zu den ganz Grossen. «Time is Running Out» gilt für ihn noch nicht. Mit seinen 21 Jahren bleibt ihm, dem Ungeduldigen und Hochbegabten, noch genügend Zeit, den Schlüssel zum Erfolg zu finden. Ob er das wirklich will, ist eine andere Frage. Sicher ist: Nick Kyrgios sorgt selbst dann für beste Unterhaltung, wenn er nicht gewinnt.

Swiss Indoors Basel: Brückenkopf der Schweiz im Welttennis

Swiss Indoors St. JakobshalleErstmals seit 25 Jahren zählt die Schweiz wieder fünf Turniere, die den grossen Turnierketten angehören: Gstaad und Biel für die Frauen sowie Gstaad, Genf und Basel bei den Männern. Referenz für alle Tennisfreunde bleiben die Swiss Indoors Basel (St. Jakobshalle, 22. bis 30.10.). Das drittgrösste Hallenturnier der ATP-Tour ist der Brückenkopf der Schweiz im Welttennis. Vor Nennschluss für die Entry List figurierten bereits vier Mann aus den Top Ten auf der Liste, nämlich Rafael Nadal (4), Stan Wawrinka (5), Kei Nishikori (6) und Milos Raonic (7). Der Kanadier Raonic bestätigte seine Ambitionen mit dem Vorstoss in den Wimbledonfinal. Gespannt verfolgen die Fans die Entwicklung Nadals (er pausiert wegen Verletzung), der im Herbst körperlich frisch sein dürfte. Der spanische Superstar startet am Super Monday (24. Oktober), zusammen mit der walisischen Sängerin Katherine Jenkins.

Wir danken unserem Gastautor Simon Häring für diesen Beitrag. Er arbeitet als Tennis-Journalist beim Blick.

SWISS INDOORS
22.–30.10.16, St. Jakobshalle Basel
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